Die Schauspielerin und Performancekünstlerin Annette Lober wurde Mitte der 80er in der süddeutschen Provinz geboren und machte mit 15 Jahren erste Bühnenerfahrungen. Nach dem Abitur ging sie mit einem Stipendium für Robert Wilsons Watermill Center in der Tasche nach New York und begann nach Hospitanzen und Assistenzen in Dramaturgie und Regie am Hamburger Thalia Theater, 2005 an der Zürcher Hochschule der Künste und an der Academy of Music and Dramatic Arts in London Schauspiel zu studieren.
kunstundhelden: Annette, welches Kunstwerk wärst Du gerne?
Annette Lober: Ich wäre gerne eine Installation von Olafur Eliasson. Ich mag die Rekonstruktion der Natur bei ihm.
kunstundhelden: Und welcher Art von Kunstwerk entsprichst du tatsächlich am ehesten?
Annette Lober: Klug gefragt! Na, einem Gesamtkunstwerk!
Ich entspreche tatsächlich wohl am ehesten der Installation „Artichoke Underground“ von Jonah Freeman and Justin Lowe. Verwinkelt, voll und voller Überraschungen. So wie man in seiner eigenen Wohnung Sachen findet, von denen man gar nicht wusste, das man sie hat.
Ich empfinde das aber nicht als Alleinstellungsmerkmal, davon laufen mehrere rum. Wir alle sind absolute Gesamtkunstwerke! Manche haben noch ein paar Schichten und Dimensionen und Rumpelkammern mehr als andere, ok, aber wir sind definitiv alle unterkellert.
kunstundhelden: Bei welchem Film hast du als letztes mitgespielt?
Annette Lober: Mein letzter und auch erster Kinofilm war die deutsch-französische Co-Produktion „Zum Geburtstag“ von Denis Dercourt, eine Nebenrolle. Es war besonders mit einem Regisseur zu arbeiten, der keinen Realismus möchte, sondern eine eher künstliche und auch künstlerische Art und Weise fordert, mit den Figuren umzugehen. Dieses Jahr werde ich mit dem deutsch-türkischen Regisseur Cihan Inan für einen Kinofilm drehen. Dieses Mal eine Hauptrolle. Ich freue mich sehr darauf.
kunstundhelden: Was ist das Charakteristische dieser Filme?
Annette Lober: Diese Filme und auch andere in deren Radius ich gerate, bewegen sich alle in einem relativ künstlerischen Feld. Ich glaube, das ist so eine Krux bei mir, dass ich eigentlich ganz „konservativ“ arbeiten möchte, ich mich aber meistens sehr stark einbringe und ich deswegen wahrscheinlich notwendigerweise in die Richtung des größeren oder eigenständigeren künstlerischen Ausdrucks gedrängt werde oder mir das eben angeboten wird.
kunstundhelden: Und das sind dann diese Performances, die Du gemacht hast?
Annette Lober: Ja, auch das. Wobei ich nie die Hand gehoben habe und meinte, so, das will ich jetzt machen! Und es gab bis jetzt immer unterschiedliche Gründe, die dann dazu führten, dass ich dachte, ja, wieso eigentlich nicht.
kunstundhelden: Wie unterscheidet sich die schauspielerische Arbeit von der Arbeit an Performances?
Annette Lober: Für mich ist der große Unterschied zwischen eigenen Performances und der Filmarbeit bzw. Theaterarbeit, dass ich bei der Performance bis jetzt immer grössere Fragestellungen hatte, die über die Befragung an eine einzelne Figur hinausgehen, die mich persönlich interessieren und die für mich ungelöst waren. Das ist dann meine Thematik und dann beginne ich zu recherchieren und es bekommt dann irgendwann einen künstlerischen Ausdruck. Also der „Auftrag“ an sich setzt mich in Bewegung. Dadurch, dass es in meinen Fällen immer eine klare Ziel- und Zeitvorraussetzung gab, fange ich innerhalb dieses Zeitvakuums an, ernsthaft und strategisch zu recherchieren und übersetze diese meine Erkenntnisse , dann künstlerisch, in eine Ausdrucksform, die auch andere erreicht. Aber bis jetzt waren es keine Performances, sondern eher Minitheaterstücke, im Performancekontext. Ich hole mir das Beste aus beiden Bereichen, die Narration des Theaters und die künstlerische und formale Freiheit der Performance.
kunstundhelden: Welche Performances hast Du bis jetzt gemacht?
Annette Lober: 2011 habe ich meine erste Performance in der Langen Foundation in Düsseldorf gemacht. Das war eine Kooperation zwischen der ZERO Foundation und der Julia Stoschek Collection. Dirk Pörschmann, Verantwortlicher für Exhibition und Research der ZERO Foundation ist auf mich zugekommen und meinte „Annette, wir haben eine Ausstellung von Jef Verheyen in der Langen Foundation im Rahmen der Quadrinnale und zeitgleich gibt es in der Stoschek Collection eine Ausstellung von Derek Jarmans Super 8 Filmen und ich habe das Gefühl, es gibt eine Schnittmenge zwischen den beiden. Hast Du nicht Lust eine Performance dazu zu machen?“
Daraufhin hat er mir das Buch „Chroma“ von Derek Jarman geschickt, in der zu jeder Farbe Assoziationen von Jarman zusammengetragen wurden, und ich dachte mir, dass ist kein Theatertext, das ist wie Dada! Aber Jef Verheyen hat ja diese monochromatischen Bilder gemalt und ich habe den inhaltlichen Zusammenhang schon gesehen, aber abgesehen von einer enormen Unterschiedlichkeit in der Persönlichkeit, Lebensstil, Werte, waren meine Gedanken wirklich eher, wie das in eine Bühnensitiuation und erlebbar gemacht werden kann. Erst mal regte sich in mir ein innerer Widerstand, aber irgendetwas hat mich dann eben doch dazu bewegt, die Performance anzugehen.
kunstundhelden: Und was war das?
Annette Lober: Die Vernissage der Jef Verheyen Ausstellung.
Die hat mich dann letztlich ziemlich umgehauen. Ich kam da vom anderen Ende Deutschlands nach Düsseldorf angefahren, auf diese surreale alte Raketenstation Hombroich, wo mitten im Feld und mitten in der Landschaft, in diesem wahnsinnigen Bau, sich Menschen und Wegbegleiter versammelt hatten, um „ihrem Jef“ die Ehre zu erweisen und einem kleinem Kammerorchester für moderne Musik zu lauschen, was sich für mich ungefähr so angehört hat, als würde man Musik mit Gabeln machen. Es klingt etwas merkwürdig, aber bei dieser Vernissage war die Liebe der Menschen für diesen Künstler einfach spürbar und greifbar im Raum. Axel Vervoordts Rede war berührend und gleichzeitig total witzig und dann leibhaftig vor diesen Bildern zu stehen, dass war einfach überwältigend. Etwas was ich so noch nicht erlebt hatte. Ich konnte in die Bilder hineingehen, als würde ich in einen Gang, in einen neuen Raum treten. Es war etwas total Übernatürliches. Und danach war mir klar, dass ich diese Performance machen will.
kunstundhelden: Du hast gerade von einem „Widerstand“ gesprochen, den du gegenüber dem Thema „Performance“ hattest, was meinst du damit?
Annette Lober: Zum Einen hatte ich vorher noch keine Performance gesehen, die mir gefällt. Das wäre an sich noch nicht mal so ein Massstab. Aber als Schauspieler tut man sich glaube ich an sich etwas schwer mit dem Wort Performances und dem was man dazu geliefert bekommt. Es ist auch ein grosses Wegwisch-Wort geworden, etwas mit dem man alles vom Tisch fegt. Es wird für alles verwendet, was irgendwie mit der Situation „Agierende und Zuschauende“ zu tun hat und gleichzeitig hat es immer einen entschuldigenden Charakter. Wenn ich etwas nicht verstehe, dann ist es eine Performance.
Das ist mir und ich schätze vielen Kollegen zu einfach! Als Schauspieler möchtest du nunmal Narration und Emotion. Du willst eine Geschichte erzählen! Dafür brennst du und hast viel eingesteckt, das machen zu dürfen, hast vier Jahre studiert und auf einmal stellt sich jemand hin und klopft sich mit Kernseife auf den Rücken und das ist dann die Performance! Mit so etwas willst Du einfach nicht in eine Schublade gesteckt werden!
Aber für mich gibt es auch einen ganz formalen Unterschied. Im Leben und im Erzählen davon, verstreicht notwendigerweise die Zeit, es gibt Handlungen, Spielvorgänge, eine Dramaturgie dazu. Eine Performance ist ja eher die „Konzentration einer Aussage“. Es ist eine Essenz.
Es ist ein Zeitvakuum, fast ein schwarzes Loch, in dem keine Zeit verstreicht, kein Anfang und kein Ende. Im besten Fall ist es die absolute Reduktion auf eine Handlung, die alles aussagt. Wenn ich es mir recht überlege, habe ich die beste Performance, die diese Kriterien erfüllt, allerdings in einem Spielfilm gesehen. Isaach De Bankolé in „The Limits of Control“ von Jim Jarmusch. Er war ein grossartige Monolith, die absolute Konzentration und du hast alles gesehen.
kunstundhelden: Glaubst du, dass Schauspieler die besseren „Performer“ sind?
Annette Lober: Ich würde sagen, dass es für alle Performances gut wäre, wenn du jemanden hast, der etwas füllen bzw. eine Idee verkörpern kann. Michael Haneke hat einmal gesagt: „Es ist sehr schwer von der einen Ecke des Raumes in die andere zu laufen“. Und es fällt einem Schauspieler natürlicherweise leichter, einen Inhalt zu transportieren.
Andererseits kann ich es mir kaum vorstellen, dass es einem „normalen“, „konservativen“ Schauspieler genügen würde „nur“ Performances von einem anderen Künstler zu machen. Dafür gibt es dann ja zu wenig Spielvorgang her.
kunstundhelden: Worum ging es in deiner zweiten Performance im November 2012 „Heutzutage hat doch niemand mehr Bock den posthumen Künstler zu mimen“ in der Galerie 10.Längengrad in Hamburg?
Annette Lober: Ein Berliner Kreativbüro, Interpol, hat die Düsseldorfer Performance mitverfolgt und hat mich angesprochen, ob ich nicht Interesse hätte, eine Performance für sie zu machen. Ich war inhaltlich frei zu entscheiden, um was es gehen soll, aber sie interessierte die Diskrepanz zwischen zu Kunst und Kommerz. Und das war eine Thematik, die mich selber schon lange grübeln liess und emotionalisierte. Das Konzept was ich ihnen vorschlug, hat ihnen gefallen und so ging alles einen sehr fordernden aber sehr schönen Gang.
Ich habe mir ein grossartiges künstlerisches Team aus externen Leuten zusammenstellen können, eine zweite Performerin, Christine Knispel, mit der ich schon bei der Verheyen Performance zusammengearbeitet hatte und dem Projektionskünstler, Philipp Bergmeister, mit dem ich schon lange zusammenarbeiten wollte, sowie internen Mitarbeitern von Interpol Florian Kühnle für Sound und technische Umsetzung, sowie Frans Stuber und Daniel Correa Mejía. Darüber wurden mir noch viele Helping Hands und kluge Köpfe zur Seite gestellt auf die ich zurückgreifen konnte. Von Karolin Siller, Nadja Hemeida, David Krumwiede und Michaela Kühn. Ich war der Kopf der Bande, aber wir haben das Ding gemeinsam gerockt.
Kunstundhelden: Wie muss man sich die Performance vorstellen?
Annette Lober: Ich habe bei der Performance mit vielen Projektionen gearbeitet, die live aufgenommen, geloopt und mit denen interagiert wurde. Danach war das Ganze so zu sagen eine begehbare Installation, die sich im Laufe der Performance, die eine Stunde gedauert hat, aufgebaut hat. Aus dem Videomaterial schneiden wir gerade das Material für eine permanente, nicht-ortsspezifische Installation. Das wird dann nochmals ein eigenständiges Werk werden, welches sich zwar an die Performance anlehnt, aber was an sich auch ohne sie funktioniert.
kunstundhelden: Welche Erkenntnis hast du durch die Erarbeitung des Performance-Konzeptes über das Thema „Kunst und Kommerz“ gewonnen?
Annette Lober: Was für mich persönlich dabei als Erkenntnis herausgekommen ist und was wir auf die Bühne gebracht haben, sind für mich letzten Endes und im Rückblick zwei verschiedene Dinge: In der Performance haben wir uns auf den kommerziellen Aspekt des Marktes konzentriert und im weitesten Sinn dargestellt, wie eine Künstlerin durch Zufall oder durch „unberechnendes“ Schaffen etwas tolles erschafft. Und die dann von der Galeristin zu einer Wiederholung des „Genie-Streiches“ gezwungen wird und scheitert. Ich habe mich also mit Verhältnis zwischen Galerie und Künstler beschäftigt und auf den marktwirtschaftlichen Aspekt konzentriert, wie die „Unschuld“ der Schaffenskraft dadurch beschnitten wird, dass der Künstler „gezwungen“ wird, etwas zu reproduzieren. Also nach dem Motto: der Künstler hat einmal ein tolles Video gemacht und dann sagt der Galerist ich brauche wieder die gleichen Zutaten, bei uns: tote Tiere, deine Eltern, ….etc., du bekommst ein halbes Jahr Zeit dafür, wie viel Vorschuss willst du?
kunstundhelden: Woher hattest du diese Informationen, dass das tatsächlich so abläuft bezogen?
Annette Lober: Die Recherche hat sich auf drei Säulen gestützt: Erstens hatte ich eine ziemliche Literatur-Liste. Ich habe die Interviewbände von Hans-Ulrich Obrist gelesen, in denen er ja mit vielen verschiedenen Künstlern gesprochen hat und diverse andere Bücher, die sich mit dem Kunstmarkt der Jetzt-Zeit befassten. Ausserdem hat meine Kollegin selbst Interviews mit Künstlern geführt, die bei sehr guten Galerien vertreten sind und mit einem Kunstjournalisten und ich habe ein unendlich grossen Input durch den Metallbildhauer und emeritierten Professor der Kunsthochschule Kassel, Eberhard Fiebig bekommen.
Nicht nur ein zehnstündiges Interview, das in Ausschnitten auch in der Performance verwendet wurde, sondern auch Texte von ihm und Materialien aus seinem eigenen, sehr politischem Werdegang. Aber natürlich springt dich letztlich das an, was dich sowieso schon anspricht oder man könnte auch sagen, dass man Beweise sucht für das, was man sowieso schon denkt.
kunstundhelden: Worin unterscheidet sich deiner Meinung nach die Kunstszene von der Schauspiel-Szene?
Annette Lober: Ich glaube, dass die Kunstszene für lange Zeit sehr elitär war, was im Moment aber dabei ist aufzubrechen. Wie zum Beispiel beim Gallery Weekend, wo man sich eher wie auf dem Oktober Fest fühlt. Die Kunst wird also auch für die Masse zugänglich. Der Film dagegen ist von der Idee her ein Medium für die Massen.
kunstundhelden: Was hältst du davon, dass Kunst für immer mehr Leute zugänglich wird?
Annette Lober: Naja, taoistisch formuliert würde ich eben sagen: „Wenn alle das Schöne als schön erkennen, wird es hässlich“. Ich glaube eben, dass – wenn die Kunst zum Massensport wird – das Eigentliche verloren geht, weil die Masse nicht in der Lage ist, die Kunst so zu rezipieren, wie sie initiiert ist. Und das meine ich gar nicht wertend. Aber der Kern der Dinge wird dann eben nicht erkannt. Oder um es mit Eberhard Fiebig zu sagen: „Die Leute strömen in die Museen, aber das was sie sehen wollen, sehen sie nicht, sondern hören sie ja nur!“ Trotzdem ist es natürlich grundsätzlich positiv zu sehen, wenn Kunst für die Gesellschaft ein Massenphänomen wird. Das Problem ist eben nur, wenn Menschen auf einen fahrenden Zug aufspringen. Dann ist es irgendwann nicht mehr authentisch.
kunstundhelden: Welche Ausstellung hat dich als letztes berührt?
Annette Lober: Also so tief berührt, wie die Verheyen Ausstellung damals in Düsseldorf, keine, aber grossartig waren die Bilder von Billy Childish in der Galerie Neugerriemschneider, die eine alte Wohnung an der Münzstrasse dafür „bespielt“ haben.
kunstundhelden: Welche Ausstellung willst du dir in nächster Zeit noch anschauen?
Annette Lober: Die Ausstellung von „Lucien Freud“ in Wien muss unglaublich toll sein, die würde ich gerne sehen.
kunstundhelden: Vielen Dank für das Gespräch!