Welche Themen dominierten in den letzten Wochen die Feuilletons? Worüber wurde in der Kunstwelt diskutiert, gestritten? Wer hat polarisiert oder war Liebling der Journalisten? Das aus unserer Sicht Interessanteste im Februar 2019 hier zusammengefasst und verlinkt zum Nachlesen.
FAZ, Süddeutsche Zeitung und Monopol
DAU in Paris
Das umstrittene Kunstprojekt DAU des russischen Regisseurs Ilya Khrzhanovsky hat in Paris Weltpremiere gefeiert (der Titel geht zurück auf den russischen Nobelpreisträger Lev Landau). Ursprünglich für Berlin geplant, war das Projekt, das den Zuschauern die Stalin-Ära nahe bringen soll in Deutschland abgesagt worden. In Berlin wollte Khrzhanovsky am Boulevard Unter den Linden ein ganzes Stadtviertel mit einbeziehen, doch aus Sicherheitsgründen erteilten die Berliner Behörden keine Genehmigung, ausserdem gab es Proteste von Politikern, die am „pädagogischen Mehrwert von DAU zweifelten“.
Für das DAU hatten Khrzhanovsky und sein Team über einen Zeitraum von drei Jahren abgeschlossen von der Aussenwelt ein nachgebautes sowjetisches Forschungsinstitut bezogen. Insgesamt 400 Künstler, Wissenschaftler, Philosophen, Neonazis und Prostituierte wurden ebenfalls einbezogen, die vor Ort über ein paar Wochen oder Monate ihren üblichen Beschäftigungen nachgingen (u.a. die Künstlern Marina Abramović und Carsten Höller). Das Zusammenleben, Gespräche, Konflikte etc. wurden gefilmt. Es entstanden 700 Stunden Filmmaterial, die die Besucher nun als eine Mischung aus Ausstellung, Multimedia-Installation und Filmpräsentation am Théâtre de la Ville de Paris und dem Centre Pompidou zu sehen bekamen.
In der deutschen Presse weckte die Pariser DAU-Ausgabe wenig Begeisterung. „Wie eine Studentenparty im Audimax“ wirkte die Eröffnung auf Niklas Maak von der FAZ. Und weiter schreibt er über das präsentierte Filmmaterial: „Man hat kurz Freude an der Kamera, die dicht an den Leuten bleibt, aber dann wird es sehr, sehr langweilig. “ Dennoch stellt Maak die Frage nach dem Erkenntnisgewinn für den Besucher, findet aber keine konkrete Antwort darauf.
In der Süddeutschen Zeitung bezeichnet Joseph Hanimann DAU als „Selbstzerstörerisches Totalspektakel“ und ist der Meinung, der Künstler habe sich mit seinem „Projekt zu viel vorgenommen. Das Ergebnis bleibt weit hinter der Idee zurück.“
Im Magazin Monopol fragt Roxana Azimi sogar ob DAU nicht „ein Fall für #Metoo“ ist und weist auf öffentlich gemachte Missstände hin. Beteiligte Schauspielerinnen hatten im Zusammenhang mit DAU auf fragwürdige Methoden im Umgang mit Frauen hingewiesen und Azimi stellt fest, dass – wie so oft – „die Kunstwelt dem Genie huldigt, ohne sich um die Methoden zu kümmern.“
Art News, New York Times
Prozess um ehemalige „Queen of the Art Scene“ Mary Boone
Mit großem Interesse hat die Kunstwelt den Prozess der renommierten New Yorker Galeristin und einstigen „New Queen of the Art Scene“ Mary Boone verfolgt. Wie in Art News und der New York Times zu lesen war, wurde Boone für Steuerhinterziehung in Höhe von drei Millionen Dollar zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Boone hatte den Gewinn ihrer Galerie minimiert u.a. indem sie hohe private Ausgaben (z.B. die Renovierung ihrer Wohnung) als geschäftliche Ausgaben deklariert hatte. Die Verteidigung zog zahlreiche Briefe von Künstlern heran (u.a. von Ai Wei Wei), die die positive Zusammenarbeit mit Boone betonten und führte ausserdem psychische Probleme durch Kindheitstraumata der Galeristin als Ursache für ihre Straftaten an. So habe sie den Betrug begangen: „not because she was greedy, but because she was frightened”, so Verteidiger Robert Fink. Doch ohne Erfolg. Richter Hellerstein: “What’s the illness that causes people to steal?”(Art News)
artsy.net
Kunstmäzenin Grażyna Kulczyk eröffnet Museum Susch in Schweizer Bergen
Hoch oben in den schweizer Bergen hat sich indes eine andere einflussreiche Frau einen Kunst-Traum erfüllt. Eine der reichsten Frauen Polens, die Unternehmerin und Kunstmäzenin Grażyna Kulczyk hat im Engadin das Museum Susch eröffnet. Das neue Kunst-Mekka bringt frischen Wind in das 200 Seelen Dorf Susch, schreibt Anna Louie Sussman auf Artsy.net. Das Museum in der Abgeschiedenheit steht dem schnellen Kunst-Konsum diametral gegenüber – „Slow Art“ lautet hier die Devise.
Wie ihre eigene Biographie als Business-Frau in einer Männerdomäne im Laufe der Jahre auch ihren eigenen Sammlungsschwerpunkt definierte, erläutert Kulczyk gegenüber Artsy.net so: „After years and years of buying art (…) I came to understand that there are two things that interest me. The first was women’s art, and the second was Conceptual art. I decided that this would be my focus.” Entsprechend war auch die Eröffnungsausstellung geprägt durch Arbeiten weiblicher Künstler: “A Woman Looking at Men Looking at Women”.
Monopol
„Das letzte Tabu: Kind und Kunst“
Ebenfalls Frauen – genauer gesagt Mütter – stehen im Mittelpunkt der Februar-Ausgabe von Monopol: „Das letzte Tabu: Kind und Kunst“. Damit thematisiert Elke Buhr, Chefredakteurin des Magazins wie schwer sich die Kunstszene noch immer noch mit dem Thema Elternschaft tut. Der Künstlermythos, des sich einzig und allein für die Kunst aufopfernden Kreativen, gestattet in den Köpfen vieler noch immer keinen Raum für ein Privatleben, das Kinder miteinschließt: „Von Künstlern wird erwartet, dass sie ihr Leben der Kunst widmen, und zwar komplett.“ Und weiter: „…mit der Mutterrolle scheint echte künstlerische Passion nicht vereinbar. Sogar Frauen erhalten diesen Mythos aufrecht, wie Marina Abramovic…“ Auch Künstler, die Väter sind kommen im Heft zu Wort (z.B. Christian Jankowsky) und in einem Essay schreibt sich die Künstlerin (und Mutter) Despina Stoku ihre Wut über Sexismus und Diskrimierung von Müttern in der Kunstwelt von der Seele: „Motherfucker. Nein, mein Kind ist nicht mein grösstes Meisterwerk“.
PARNASS, Detektor FM
MoMA bereitet konzeptuelle Neuausrichtung vor, Met Museum unter Max Hollein will von linearer Geschichtspräsentation abrücken
In den New Yorker Museen tut sich etwas in Sachen Ausstellungskanon. Das MoMA schließt für ganze vier Monate seine Türen (Mitte Juni bis Mitte Oktober 2019) für Umbaumaßnahmen und – noch viel spannender – auch um eine konzeptuelle Neuausrichtung des Hauses zu erarbeiten, wie Sebastian Frenzel von Monopol auf Detektor Fm erläuterte. Der derzeitige Schwerpunkt auf europäischer und nordamerikanischer Kunst soll erweitert werden um mehr kulturelle Vielfalt, Diversität und auch mehr Positionen von Künstlerinnen zu präsentieren.
Ähnlich komplex denkt auch der amtierende Direktor des Metropolitan Museums Max Hollein (vorher Schirn Kunsthalle und Städel Museum Frankfurt) an einer Erweiterung hin zu einem vernetzten Ausstellungskonzept: laut in einem Interview im PARNASS: „Die weltweite Kontextualisierung unserer Sammlungen – und das ist ein wichtiges Anliegen – gelingt nur, indem wir uns von der Präsentation einer einzigen, mehr oder weniger linearen Geschichte der kulturellen Entwicklung verabschieden und stattdessen kulturelle Verbindungen sowie die Multiplizität, Verbundenheit und Parallelität der kulturellen Entwicklung aufzeigen.“
Tagesspiegel, FAZ
Tizian-Ausstellung im Frankfurter Städel Museum
Die Ausstellung „Tizian und die Renaissance in Venedig“ im Frankfurter Städel Museum bringt Bernhardt Schulz in seinem Artikel im Tagesspiegel „Der warme Schmelz venezianischer Kunst“ in Wallungen. In der umfangreichen Ausstellung sind so viele Bilder von Tizian vereint wie noch nie zuvor in einer Ausstellung in Deutschland (mehr als 20). Schulz hält die Ausstellung für gelungen. Nur der kuratorische Abschluss, der einen Ausblick gibt auf die folgenden Künstlergenerationen, erscheint ihm wenig „erhellend“: „Kunst kommt immer von Kunst, und so lässt sich von El Greco über Rubens bis zum Fotografen Thomas Struth der Einfluss der venezianischen Malerei ohne Mühe belegen. Im Gedächtnis haften bleibt das unglaublich reiche und dabei so harmonische Kolorit der Venezianer. Um dessen Wirkung ganz zu erleben, bedarf es allerdings des Besuchs der Kirchen Venedigs mit ihren prachtvollen Altarbildern.“
Auch Stefan Trinks schwelgt in seinem Artikel in der FAZ in „Drei Farben Weiß-Blau-Rot“. Er fragt: „Was macht Venedig so besonders, dass die Stadt alle Kunst bunt färbte?“ und erläutert die Antworten, die in der Ausstellung angeführt werden (z.B. hatte Venedig als einzige Stadt spezialisierte Farbhändler als eigenen Berufsstand). Vom in der Ausstellung veranschaulichten Einfluss auf die nachfolgenden Künstlergenerationen ist Trinks dennoch beeindruckt: „Dort wird „nur“ die stilistische Auseinandersetzung der Nachwelt mit Tizian gezeigt, und auch wenn dies schon tausendmal geschrieben wurde, verblüfft doch der Grad der Autonomisierung der Farbe bei Tizian immer wieder von neuem.“
ZEIT, Neue Zürcher Zeitung
Picasso in der Fondation Beyeler in Baden-Baden
In seiner Rezension in der ZEIT, schreibt Sven Behrisch begeistert von der Ausstellung „Der junge Picasso – blaue und rosa Periode“ in der Fondation Beyeler: „Eine sensationelle Ausstellung in Basel zeigt viel Unbekanntes aus dem Frühwerk des Malers.“ Laut Behrisch ist Museumsdirektor Sam Keller ein Meisterstück gelungen, indem der Besucher tatsächlich begreift, „wie Picasso zu Picasso wurde“. Wie der Ausstellungstitel ankündigt sind die Werke der Blauen und Rosa Periode aus den Jahren 1901 bis 1906 zu sehen. Den schnell wechselnden Stilen und Bildwelten dieser Zeit folgte 1907 schließlich der Kubismus.
Auch Philipp Meier spricht in seinem Artikel in der NZZ von der Picasso-Ausstellung als eine der „ambitioniertesten Ausstellungen“ der Fondation Beyeler und fragt: „Was wäre eigentlich aus der Kunst geworden, hätte es Picasso nicht gegeben? Und was wäre aus uns geworden? Man müsste wohl auf eine Welt spekulieren, die an bildender Kunst weit ärmer wäre, als sie es heute ist. Dies in qualitativer wie auch in quantitativer Hinsicht. Denn die schiere Kunstproduktion unserer Tage lässt sich auf eine Popularität der Kunst zurückführen, die so noch nie da gewesen war – bis Picasso auf der Bildfläche erschien.“ Das ausgestellte Frühwerk des frühreifen Genies der Moderne ist für Meier in der Fondation Beyeler leicht zugänglich: „Denn diese Bilder sprechen uns alle unmittelbar an…“
Frieze
Kunst als Medizin auf dem World Health Congress Europe 2019
Zu guter Letzt ein Blick in die Zukunft, der optimistisch stimmt: Der World Health Congress Europe 2019 (5-7. März 2019, Manchester) widmet sich den Zusammenhängen von Kunst und Gesundheit, wie im Magazin Frieze zu lesen war. „Why doctors think art can help cure you“ fragt Chris Sharratt in seinem Artikel. Dabei fließen auch Ergebnisse aus Kanada ein. Dort können bereits seit letztem Jahr Ärzte der Ärztevereinigung Médicins francophones du Canada ihren Patienten per Rezept Besuche im Montreal Museum of Fine Arts verschreiben. Die Museumsdirektorin Nathalie Bondil sagte dazu: „In the 21st century, culture will be what physical activity was for health in the 20th century.“
In diesem Sinne: Auf ins Museum!